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Was schief lief, was Hoffnung gibt
#1
Der VfL Bochum steigt aus der Bundesliga ab – die Fehlerkette bis zum bitteren Moment ist lang. Eine Aufarbeitung und Mutmacher der Saison. 

Als der siebte Bundesliga-Abstieg des VfL Bochum immer mehr zur bitteren Gewissheit wurde, ging die Lautstärke im Ruhrstadion von Minute zu Minute in die Höhe. Statt Frust verbreitete sich auf den Tribünen Trotz. Die Fans sangen davon, wie sehr die zweite Liga wehtun würde. Sie besangen ihren Klub. Und sie besangen ihre Helden Anthony Losilla und Cristian Gamboa, die nach der Saison ihre Karrieren beenden werden – und die bei der 1:4-Klatsche gegen Mainz 05 von Trainer Dieter Hecking noch einmal Einsatzminuten geschenkt bekamen, nachdem der Abstieg nicht mehr zu vermeiden war. „Diese Stimmung ist total wahnsinnig, auch nach dem Spiel. So etwas habe ich noch nie gesehen, das ist Weltklasse“, geriet sogar Gäste-Trainer Bo Henriksen in Schwärmen. 

Die Stimmung, die so untypisch war für einen Abstieg, sorgte für Optimismus. Diesen braucht es nach dieser Horrorsaison dringend. Es bleibt bei drei Heimsiegen, das ist Bundesliga-Minusrekord. Überhaupt stellte der VfL viele Negativmarken auf, feierte erst am 15. Spieltag den ersten Sieg, gewann nur einmal auswärts (und einmal am Grünen Tisch). Letztlich hat er vor dem letzten Spiel beim FC St. Pauli 22 Punkte, zwei davon gab es vom DFB-Bundesgericht nach dem Einspruch gegen das Feuerzeugwurf-Spiel in Berlin. Bochum steigt als Letzter ab. Zum Vergleich: Im ersten Jahr nach dem Aufstieg, 2021/22, holte der VfL 42 Punkte! 

Wie konnte der Klub derart abstürzen?
Angefangen hat der Absturz schon in der Vorsaison: Geschäftsführer Patrick Fabian und Sportdirektor Marc Lettau verlängern den Vertrag mit Trainer Thomas Letsch auch für die 2. Liga. Letsch führt den Klub zum nächsten Bayern-Coup und gefühlt sicheren Klassenerhalt, nachdem er bereits im Vorjahr den VfL zur direkten Rettung gecoacht hatte. Aber die Klubchefs kippen, getrieben auch vom Wunsch des Präsidiums, schnell um, als Letsch sechs Partien in Serie nicht gewinnt. Rauswurf statt Signal der Kontinuität. Heiko Butscher schafft den Klassenerhalt im Elfmeterschießen der Relegation.

In dieser Zeit wirft Patrick Fabian als Sport-Geschäftsführer hin – das Präsidium strukturiert den Klub im Sommer neu. Ilja Kaenzig wird alleiniger Geschäftsführer, die Direktoren-Ebene soll dadurch gestärkt werden. Doch jemand mit sportlicher Gesamtverantwortung fehlt, Kaenzig wird überfrachtet. Neun Monate später die Rolle rückwärts. Das Modell ist gescheitert, nun arbeitet Dirk Dufner und damit wieder ein zweiter, für den Sport zuständiger Geschäftsführer beim VfL. 

Fabian hatte bei der Trainersuche ebenso wie bei zwei, drei Transfers (unter anderem Dani de Wit) mitgewirkt. Peter Zeidler war auch sein Mann. Als sich der in der Bundesliga Unerprobte dem Präsidium vorstellte, war Fabian schon nicht mehr im Amt. Präsidium und Geschäftsführer Kaenzig hielten Zeidler, wie diese Redaktion anfangs übrigens auch, für den Richtigen - und lagen falsch. Viel zu lange ignorierten sie die Signale aus der Mannschaft, die sich früh gegen den Coach formierte. Zu spät trennte sich die Führung von Zeidler. 

Kader nicht gut zusammengestellt
Sportdirektor Marc Lettau durfte im Sommer bleiben, obwohl es zahlreiche Kritiker im Präsidium gab. Er arbeitete weitgehend ohne Rückendeckung, er machte viele Fehler. Bochum schaffte es nach der bereits holprigen Vorsaison nicht, Leistungsträger wie Kevin Stöger oder Keven Schlotterbeck zu halten. Transfererlöse brachte nur Patrick Osterhage (4,8 Millionen Euro) – die Mittel blieben damit begrenzt. Der Umbruch scheiterte grandios. Lettau holte Spieler für das Zeidler-System, das Tempo wurde vergessen, der Kader war unausgewogen. Eine Alternative für die Außenspieler Wittek und Passlack fehlte, der Angriff war so harmlos wie nie in der VfL-Geschichte. Peter Zeidlers Fußball passte nicht zum VfL Bochum. Kaenzig räumte den Fehler der VfL-Verantwortlichen, die DNA des Klubs vergessen zu haben, bereits im Vorjahr auch im Interview mit dieser Redaktion ein. 

Ein Kardinalfehler: Nicht einer der neun neuen Feldspieler hatte zuvor auch nur ein Bundesliga-Spiel bestritten. Mittelfeldmann Ibrahima Sissoko konnte als einziger überzeugen. Zu viele Mitläufer, zu großer Kader, viele Unzufriedene. Besonders die teuren Schlüsselspieler Dani de Wit und Myron Boadu kamen nicht zurecht – das kann sich ein VfL mit einem Gesamtetat von 41 Millionen Euro nicht leisten. 

Lettau musste dann mit Zeidler im Oktober gehen. Kaenzig schaffte es, Dieter Hecking zu überzeugen – ein Volltreffer, trotz des Abstiegs, weil Hecking als Typ zum VfL passt. Zurück zu den Basics – der Weg ist eingeschlagen. 

Doch das Präsidium ließ Kaenzig und Hecking alleine: 160 Tage (!) dauerte es, bis Dirk Dufner als neuer Verantwortlicher für den Sport gefunden war. Im Winter schafften es Kaenzig und Hecking zwar, den Kader sinnvoll auszudünnen und mit Georgios Masouras und Tom Krauß zu verstärken. Doch es hätte weiterer Zugänge bedurft. Und: In den letzten Schlüsselspielen gegen Augsburg, Union Berlin, Heidenheim schaffte es Hecking nicht, dem VfL-Spiel ausreichend Gefahr und Überzeugung zu geben. 

Nebenkriegsschauplätze belasten den VfL
Das Präsidium wiederum gab ein schlechtes Bild ab, war und ist zerstritten. Der De-facto-Putsch gegen den langjährigen Präsidenten Hans-Peter Villis, auf den Uwe Tigges folgte, brachte Unruhe in den Klub. Das Gremium konnte keinen Halt geben, ließ Führung vermissen. Am 14. Juni steigen von Tigges und Co. im Dezember ausgerufene Neuwahlen – voraussichtlich mit einem Team Villis und einem Team Tigges.

Weitere Nebenkriegsschauplätze belasteten den Klub: Mit Torwart Manuel Riemann verpasste der Verein eine Einigung im Sommer, der Fall landete vor Gericht. Das Feuerzeugwurf-Skandalspiel von Union Berlin brachte dem VfL zumindest in den sozialen Netzwerken auch viele Feinde ein, die Gerichtsprozesse belasteten den Klub. Einen Vorwurf kann man hier Bochum aber nicht machen, der seine Rechtsmittel ausschöpfen musste. Alles andere wäre grob fahrlässig gewesen. 

Historische Siege gegen BVB und Bayern als Lichtblicke
So gab es viel Frust, angefangen schon mit dem 0:1 im DFB-Pokal in Regensburg, viel Enttäuschung. Trainer Hecking sprach am Samstag von einer „toxischen“ Mixtur, die sich entwickelt hatte. Aber es gab immerhin zwei große Lichtblicke, die man nicht vergessen sollte. Das 2:0 gegen den BVB und der 3:2-Sieg beim FC Bayern, der erste in München seit 1991, bleiben ein Stück Vereinshistorie. Dass es danach erneut rasant bergab ging wie schon im Vorjahr? Den Bayern-Fluch wird es nächste Saison nicht geben können. Vielleicht ein Segen.

Womit es zum klaren Sieger dieser Spielzeit geht. Die Fans standen wohl noch nie so lautstark hinter ihrem Klub, auswärts wie daheim. Sie verabschiedeten die Absteiger mit nahezu ekstatischen Fangesängen, angefacht auch durch das Karriere-Ende der Legenden Anthony Losilla und Cristian Gamboa. Die Fans werden auch in Liga zwei ihren VfL begeisternd unterstützen, zumindest in der Startphase – das ist die Basis für die Zukunft. „Was nach dem Spiel war, habe ich so auch noch nicht erlebt. Es ist unsere Verpflichtung, daraus etwas zu machen“, sagte Hecking. „Es ist eine Verpflichtung, wenn man nach so einer verkorksten Situation so verabschiedet wird. Jetzt liegt es an mir, meinen Mitstreitern, dass man wieder für mehr stehen kann.“ 

Beim Wiederaufbau werden die Talente eine größere Rolle spielen. Kacper Koscierski (18) könnte bei den Profis durchstarten. Die 2. Liga bietet gerade jungen Spielern eine gute Chance, sich in den Fokus zu spielen. Dazu zählt auch noch Mats Pannewig (20). Mit der in die Regionalliga aufgetiegenen zweiten Mannschaft nur noch zwei Klassen tiefer hat der Klub ein gutes Argument für Jungprofis, die dort auch Spielpraxis auf höherem Niveau sammeln können. 

Dieter Hecking ist der Hoffnungsträger
Die 2. Liga ist und bleibt hochattraktiv: Es gibt voraussichtlich fünf NRW-Duelle, Traditionsklubs tummeln sich im Unterhaus. Die Schere zwischen Meister-Anwärter und Abstiegs-Kandidat ist bei weitem nicht so groß wie in der Bundesliga, jeder kann jeden schlagen. Eine Chance – allerdings auch zugleich ein Risiko, mit einer neu formierten Mannschaft zunächst gegen den Abstieg zu kämpfen. Trainer Dieter Hecking, der mit seiner Ausstrahlung mehr denn je in der Öffentlichkeit das Gesicht des VfL Bochum sein wird, peilt den Wiederaufstieg an. Hecking ist, trotz seiner schwachen Bilanz zuletzt, ein Hoffnungsträger.

{url=https://www.waz.de/sport/vfl-bochum/article408987003/abstieg-des-vfl-bochum-was-schief-lief-was-hoffnung-gibt.html] Quelle: WAZ.de [/url]
Tradition ist nicht die Aufbewahrung von Asche, sondern die Weitergabe des Feuers
" Der  VfL kommt von der Castroper Strasse, und hier soll er auch bleiben."
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Was schief lief, was Hoffnung gibt - von Herr Bert - 05-11-2025, 08:01 PM

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